Es war die Frau, die sie vier Monate zuvor auf der Straße angehalten hatte, verzweifelt, erschöpft, mit flehendem Blick. Marta erinnerte sich sofort an diesen Moment – die Frau, die um Hilfe gebeten hatte, ein Taxi zu rufen, weil sie „vor den Leuten flüchtete, die sie gegen ihren Willen im Haus festhielten“. Marta hatte ihr damals geholfen, aber bevor das Taxi kam, hatten zwei Männer sie in einen schwarzen Wagen gezerrt. Marta wandte sich an die Polizei – vergeblich. Niemand glaubte ihr. Die Frau war aus dem Wagen verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
Und nun stand sie direkt vor ihr. In einem luxuriösen Wohnzimmer. Gepflegt, elegant, aber mit demselben leeren Blick.
Marta rief:
„Sie sind es! Sie … ich habe Sie gesehen! Sie haben um Hilfe gebeten!“
Der Bräutigam sprang sofort auf und legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Marta, beruhigen Sie sich … das ist meine Mutter.“
„Das ist unmöglich!“, rief Marta. „Diese Männer hielten deine Mutter fest! Und du wusstest es!“
Die Frau – die Mutter des Bräutigams – lächelte schwach. Zu schwach. Zu gekünstelt. Ihre Hand zitterte, während Marta ihr in die Augen sah.
„Schatz“, sagte der Bräutigam angespannt, „meine Mutter … war krank. Sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Sie lief von zu Hause weg, und man fand sie erst ein paar Tage später. Diese Männer waren meine Angestellten – sie wollten sie nur wieder in ihre Obhut nehmen. Nicht mehr.“
Doch Marta spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Seine Worte waren geschmeidig, zu einstudiert.
„Das stimmt nicht“, sagte sie leise. „Ich erinnere mich, wie sie schrie. Ich erinnere mich, wie sie deinen Namen rief. Sie flehte darum, dass jemand dich kontaktiert.“
Als sie das sagte, riss die Mutter des Bräutigams den Kopf herum, als ob ihr eine Erinnerung gekommen wäre. Doch sie richtete sich sofort wieder auf, als ob in ihr ein Schalter umgelegt worden wäre.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Marta“, sagte sie monoton. „Es war nur ein kurzer Vorfall. Jetzt ist alles wieder gut.“
Diese Stimme. Sie klang nicht menschlich. Sie war … einstudiert.
Marta wich einen Schritt zurück. Ihr Blick glitt zum Bräutigam – seine Augen flehten nicht, sie wirkten nicht beruhigend. Sie waren kontrollierend.
Und dann sah Marta etwas, das sie noch mehr schockierte.
Da war ein dünner blauvioletter Fleck am Handgelenk der Mutter des Bräutigams – wie der Abdruck eines festen Griffs. Genau die Art von Abdruck, die Menschen bekommen, wenn sie gegen ihren Willen festgehalten werden.
„Was tust du ihr an?“, keuchte Marta.
Der Bräutigam packte schnell ihre Hand.
„Marta, hör auf! Was du siehst, geht dich nichts an.“
„Was soll das heißen, das sind nicht meine Sachen?! Sie ist deine Mutter! Und ich soll in eine Familie einheiraten, wo … wo versteckst du etwas?!“
In diesem Moment lächelte die Mutter des Bräutigams wieder schwach – doch es war nicht ihr eigenes Lächeln. Es wirkte steif, gezwungen, als übte sie es vor einem Spiegel.

„Es gibt Dinge“, sagte sie leise, „die besser unausgesprochen bleiben.“
Marta spürte, wie ihre Knie nachgaben. Dieses Haus war nicht ihr Zuhause. Es war nicht sicher. Alles hier roch nach Geld, Luxus … und Angst.
„Ich gehe“, sagte Marta entschieden.
Doch der Bräutigam ließ ihre Hand nicht los.
„Nein“, sagte er mit harter Stimme. „Bis wir gehört haben, was Mutter zu sagen hat.“
„Ich habe genug gehört!“
Sie wandte sich zur Tür – doch in diesem Moment sprach seine Mutter endlich so, dass selbst ihre antrainierte Selbstbeherrschung sie überforderte.
„Marta, lauf nicht weg“, flüsterte sie eindringlich. „Vielleicht können sie dich noch retten, bevor es zu spät ist.“
Der Bräutigam erstarrte.
Marta drehte sich um. Und zum ersten Mal sah sie etwas Reales in ihren Augen: Panik.
„Komm her“, flüsterte ihre Mutter. „Bitte.“
Das Gesicht des Bräutigams wurde kreidebleich.
„Mama, jetzt reicht’s!“, rief er.
Doch die Frau ignorierte ihn. Sie hob zitternd die Hand und deutete zum Fenster.
„Das Haus hat zwei Teile. Den offiziellen und den geheimen. Ich war im geheimen eingesperrt. Und alle Frauen, die er heiraten wollte … sie alle landeten dort.“
Marta spürte, wie ihr Herz stehen blieb.
„Wovon redest du?“, fragte sie und wich zurück.
Die Mutter kam näher. Ihre Bewegungen waren ungeschickt, aber entschlossen.
„Dein Bräutigam … hat ein Problem. Er braucht Kontrolle. Keine Verlobte. Keine Ehefrau. Eine Gefangene.“
Marta schrie auf.
Der Bräutigam packte sofort den Arm seiner Mutter, woraufhin sie vor Schmerz aufzischte.
„Ruhe! Du hast kein Recht –“
„DU HAST DAS RECHT, DIE WAHRHEIT ZU ERFAHREN!“, schrie die Mutter mit zitternder Stimme.
Marta tat das Einzige, was sie tun konnte: Sie rannte aus dem Haus.
Der Bräutigam rannte ihr hinterher. Er rief ihren Namen. Doch Marta rannte so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Ihr Herz raste, als würde es ihr gleich aus der Brust springen. Sie sah nicht zurück. Erst als sie auf der Straße war und den Wagen anhielt, rief sie die Polizei.
Und was später im Haus gefunden wurde, war schlimmer, als sie es sich hätte vorstellen können: verschlossene Zimmer, Krankenakten, Überwachungsgeräte und Aufzeichnungen zur „Verhaltensbeobachtung“. Dokumente, die bewiesen, dass der Bräutigam seine Mutter isoliert und manipuliert hatte … und dasselbe mit Marta vorhatte.
Im Verhör gestand die Mutter alles. Und sie wurde endlich freigelassen.
Marta bereute ihre Entscheidung nie.
Denn hätte sie an jenem Tag ihrer Forderung nicht nachgegeben, wäre sie eine weitere „Braut“ geworden, die im Hinterzimmer des Hauses verschwunden wäre.
Manchmal kann ein einziger Satz –
„Ich möchte Ihre Mutter kennenlernen“ –
ein Leben retten.